Alles über das Rauchen Rezensionen "Rauchen Sie?"
 

Rauchen Sie?

Verteidigung einer Leidenschaft

von

Imre von der Heydt

Ich lernte den Autor und sein Buch durch die Sendung "Hart aber fair – Gehören Raucher an den Pranger?" am 8.11.2006 im WDR-Fernsehen kennen.

Imre von der Heydt sagte nicht viel in dieser Sendung, aber das wenige erweckte den Eindruck von Undurchdachtheit, Laienhaftigkeit und Informationsdefiziten.


Ich suchte im Internet nach weiteren Informationen über sein Buch und ging sogar in einen Buchladen, um mir das Buch zu kaufen. Nachdem ich ein wenig in dem Buch – leider kein Taschenbuch – geblättert hatte, nahm ich jedoch vom einem Kauf Abstand. 17,90 Euro waren mir einfach zu schade für diese Sammlung von demonstrierter Unwissenheit.
Die folgenden Ausführungen basieren also nur auf Fundstücken aus dem Internet und auf dem, was mir vom Durchblättern im Gedächtnis geblieben ist.


Gleich auf der ersten Seite des Buches fallen einige Zitate auf, die an Polemik kaum zu überbieten sind:

"Gott sei Dank raucht man ja in der ganzen Welt ... selbst die Polarforscher statten sich reichlich mit Rauchvorrat aus für ihre Strapazen." – Thomas Mann, der Zauberberg
Hier können ja eigentlich nur die Strapazen eines Nikotin-Entzuges gemeint sein, denn bei körperliche Strapazen benötigt der Körper viel Sauerstoff, dessen Aufnahme durch Tabakrauch reduziert wird.

"Bevor man eine Frage beantwortet, sollte man immer erst eine Pfeife anzünden." – Albert Einstein
Da mag Einstein ein bisschen recht haben – wenn es nur um das Stopfen und Anzünden geht. Natürlich ist aber auch jede andere Tätigkeit hilfreich beim Nachdenken. Wenn man verbissen über ein Problem grübelt, kommt man oft nicht weiter, aber wenn man mal aufsteht und einfach nur aus dem Fenster schaut oder auf die Toilette geht, kommen einem plötzlich die besten Einfälle. Das Rauchen hat damit nichts zu tun. Schon Goethe schrieb: "Das Rauchen macht dumm; es macht unfähig zum Denken und Dichten." So viele geniale Menschen haben niemals geraucht: der Erfinder des Rades, die Erbauer der sieben Weltwunder, von Euklid und Aristoteles bis hin zu Leonardo da Vinci.

"Wird nicht mehr lange dauern ... alles was auch nur entfernt geeignet ist, die Sinne zu erfreuen, müssen sie kontrollieren. Und sie werden es kontrollieren." – Thomas Pynchon
Es ist wirklich traurig, wie viele Menschen es zu geben scheint, deren Sinnesfreuden sich offensichtlich auf Dinge beschränken, die ungesund sind und verboten werden könnten. Denn garantiert niemand wird jemals kontrollieren, ob Thomas Pynchon z.B. im Frühling unter einem Fliederbusch oder im Sommer neben einem Rapsfeld stehen bleibt und genussvoll diese herrlichen Düfte einatmet. Arme Menschen, die solche Sinnesfreuden nicht mehr kennen!

"Die deutsche Frau raucht nicht." – Adolf Hitler
Dieser Versuch, die Motivation der heutigen Rauchgegner mit den Zielen des Nationalsozialismus in Verbindung zu bringen, verdient keinen Kommentar.

"Männer, die sich das Rauchen abgewöhnt haben, sind mir unheimlich." – Jeanne Moreau
Den entscheidenden Rest des Zitates hat Imre von der Heydt leider weggelassen: "Vielleicht gewöhnen sie sich eines Tages auch die Liebe ab?" Rauchen und Liebe – ein reichlich seltsamer Vergleich. Als Französin ist Jeanne Moreau höchstwahrscheinlich katholisch. Sind ihr Priester und das Zölibat ebenfalls unheimlich? Und selbst wenn: der Liebe zu entsagen, ist ein großer Verzicht, der der Natur des Menschen widerspricht. Sich das Rauchen abzugewöhnen, ist aber kein Verzicht und kein Entsagen, sondern die Befreiung von etwas, was der Natur des Menschen widerspricht.

Nun zum Inhalt des Buches:

Kampf gegen die Raucher?

Durch das ganze Buch ziehen sich Begriffe wie Anti-Raucher-Organisationen, Anti-Raucher-Kampagnen, Raucher-Hatz, Raucher-Diskriminierungund dergleichen. Diese Begriffe sind völlig verkehrt angebracht. Imre von der Heydt hat etwas Wesentliches leider noch nicht begriffen: dass DER Raucher und DAS Rauchen streng voneinander zu trennen ist. Niemand diskriminiert Raucher, niemand macht eine Hetzjagd auf Raucher. Raucher sind überall willkommen: in Kaufhäusern, in Bibliotheken, in Nichtraucherzonen – nur dass sie dort halt mal nicht rauchen dürfen. Der Kampf gilt also nicht dem Raucher, sondern allein dem Rauch.
Niemand sagt "Nur ein toter Raucher ist ein guter Raucher". Denn jeder Raucher hat die Chance, sich das Rauchen abzugewöhnen. In jedem Raucher steckt ein potentieller Ex-Raucher – und aus welchem Grunde sollte irgend jemand einen potentiellen Ex-Raucher verfolgen oder diskriminieren?

Statistiken

Imre von der Heydt bemüht sich sehr, die Statistiken anzugreifen, die sich mit der Anzahl der durch das Rauchen und Passivrauchen getöteten Menschen befassen.

Er kritisiert die unterschiedlichen Zahlen, die die WHO über die weltweit vorzeitig gestorbenen Raucher angibt. Sicherlich ist es eine schwierige Sache, hier verlässliche Zahlen anzugeben, zumal gerade in unterentwickelten Ländern kaum bekannt sein dürfte, wie hoch die Anteil der Raucher eigentlich ist und an welchen Krankheiten die Menschen sterben. Verlässliche Zahlen gibt es eher z.B. für Deutschland. Die DHS (Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen) nennt auf ihrer Seite Daten und Fakten / Tabak vier Statistiken mit folgenen Ergebnissen:

111.000 Todesfälle Quelle: Peto et al. 1994
117.000 Todesfälle Quelle: Welte et al. 2000
137.000 Todesfälle Quelle: Ruff et al. 2000
143.000 Todesfälle Quelle: John und Hanke 2001

Dass diese Zahlen ständig steigen, mag verschiedene Ursachen haben. Vielleicht auch, dass mit den Jahren immer mehr Erkenntnisse gesammelt wurden, welche Krankheiten durch das Rauchen verursacht bzw. verschlimmert werden, sodass immer mehr Todesfälle dem Rauchen zuzurechnen sind.

Weiterhin glaubt Imre von der Heydt, dass all diese Zahlen ja gar nicht stimmen können, weil man bei einem Toten nicht nachweisen kann, ob z.B sein Lungenkrebs durch Rauchen, Radon, Autoabgase oder andere Einflüsse entstanden ist. Außerdem würden die meisten Raucher im hohen Lebensalter sterben, wenn sowieso viele andere Todesursachen in Frage kommen.
Diese Argumentationsweise lässt befürchten, dass der Autor glaubt, Statistiker versuchten lediglich abzuschätzen, ob ein Toter dem Rauchen oder anderen Ursachen zuzuschreiben wäre, und anschließend würden die dem Rauchen zugeschriebenen Toten einfach addiert. Eine solche Vorstellung ist jedoch sehr laienhaft und zeugt nicht gerade von ausgiebigen Recherchen für das Buch.
Statistiker sind nämlich durchaus in der Lage, verschiedene Todesursachen zu berücksichtigen und alle anderen außer dem Rauchen aus den Ergebnissen herauszurechnen. Eine Methode, die sehr aufwändig ist, dafür aber absolut präzise Ergebnisse liefert, nennt sich "Statistische Zwillinge", die ich an anderer Stelle ausführlich erläutert habe.

Gesundheit

Imre von der Heydt betont zwar ständig, dass Rauchen ungesund ist, bemüht sich aber gleichzeitig, die Gesundheitsgefahren zu verharmlosen.

Die Tatsache "Rauchen macht impotent" versucht der Autor damit zu widerlegen, dass in Deutschland die geburtenstarken Jahrgänge in die Zeit des stärksten Tabakkonsums fielen. Auf den ersten Blick ein logisches Argument, aber auf den zweiten Blick ein grundfalsches. All die Schäden durch das Rauchen treten meistens ja nicht sofort ein, sondern entwickeln sich erst im Lauf der Zeit durch langjährigen Tabakkonsum. Da ist es kein Problem, mit 25 oder 30 Jahren Kinder zu zeugen, auch wenn man dann später impotent wird. "Allein in Großbritannien gibt es rund 100.000 Männer zwischen 40 und 50, die aufgrund des Tabakkonsums impotent sind", wurde von British Medical Association (BMA) bekannt. In diesem Alter hat man gewöhnlich seine Kinder bereits längst in die Welt gesetzt.

Imre von der Heydt schreibt, dass in Tierversuchen nicht bewiesen werden konnte, dass Tabakrauch Lungenkrebs verursacht. Sucht man nun nach Quellen für diese Behauptung, landet man fast nur auf Internetseiten von Tierversuchsgegnern. Der Schluss aus der genannten Erkenntnis lautet also keinesfalls "Rauchen hat keinen Einfluss auf Lungenkrebs", sondern höchstens "Die Ergebnisse mancher Tierversuche lassen sich nicht auf den Menschen übertragen."
Davon abgesehen, hat es sehr wohl Tierversuche gegeben, mit denen ein Zusammenhang zwischen Tabakrauch und Lungenkrebs nachgewiesen wurde. Aufsehen erregend war dabei besonders die Erkenntnis, dass die Gabe von ß-Karotin nicht schützt, sondern das Lungenkrebsrisiko noch erhöht (Quelle). Weitere Informationen über Rauchen und Lungenkrebs findet man hier.
An dieser Stelle würde ich noch gern auf die unbeholfenen Anmerkungen des Autors zum Gen p53 eingehen, aber ich habe diese bereits wieder vergessen. Falls mir jemand dieses Buch schenkt, will ich diese Lücke gern schließen.

Allgemeines:

(Hier gehe ich nun auf Dinge ein, die ich nicht in dem Buch, sondern in anderen Rezensionen gelesen habe.)

Sucht – Genuss – puritanischer Eifer

Allen Carr hat es in seinem Bestseller "Endlich Nichtraucher!" einmal so schön treffend ausgedrückt: "Genuss hat damit nichts zu tun. Mir schmeckt Hummer, aber ich habe nie das Stadium erreicht, dass ich täglich zwanzig Hummer hätte verspeisen müssen. Andere Dinge im Leben genießen wir, sitzen aber nicht mit einem Gefühl des Elends herum, wenn sie gerade nicht verfügbar sind." Was ist also Genuss?
Im Grunde genommen gibt es zwei Arten von Genüssen:
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  • Wir riechen oder schmecken etwas. Die Impulse der betroffenen Sinneszellen werden zum Limbischen System geleitet und dort bewertet. Je nach Gewohnheiten und Erfahrungen kann das Urteil positiv oder negativ ausfallen. Bei einem positiven Urteil wird das Belohnungssystem stimuliert, was wir als Genuss empfinden.

  •  
  • Drogen wie Alkohol, Nikotin, THC, Kokain und viele andere gelangen über den Blutkreislauf direkt ins Gehirn und docken an Rezeptoren an, die ihre Impulse unmittelbar an das Belohnungssystem weitergeben und dort das Gefühl eines Genusses erzeugen. Das Limbische System wird dabei umgangen, es findet keine Bewertung statt. Der "Genuss" wird dem Konsumenten praktisch aufgezwungen.
    Genau so gut kann man auch Elektroden in das Belohnungssystem einpflanzen und dieses elektrisch stimulieren. Versuchstiere, die diese Impulse durch Tastendruck selbst auslösen durften, wurden sehr schnell süchtig danach und verbrachten den größten Teil ihrer Zeit nur noch mit Tastendrücken. Saufen, Rauchen oder Fixen ist im Grunde genommen kaum etwas anderes.

    Ich halte es für sehr wichtig, diese beiden Arten von Genüssen auseinander zu halten, wenn es darum geht, ob man sich als Genießer bzw. Genussmensch bezeichnen möchte.

    Über Alkoholiker habe ich gelesen, dass es dem oft schleichenden Verlauf und den positiven Selbsterfahrungen des Alkoholtrinkers zuzuschreiben ist, dass kein echtes Krankheitsgefühl entsteht oder sehr früh verdrängt wird. Es fehlt dazu der Leidensdruck. Daher werden oft selbst im fortgeschrittenen Krankheitsstadium die gutgemeinten Ratschläge von Freunden und Bekannten als unzutreffend zurückgewiesen. Der Alkoholiker ist der festen Überzeugung, dass er die Schnäpse morgens nach dem Aufwachen aus reinem Genuss trinkt und weist jeden Verdacht, er könne süchtig sein, entschieden zurück. Diese subjektiv richtige, aber objektiv falsche Einschätzung des "Genusses" trifft auch auf den größten Teil der Raucher zu. Und eben auch das große Problem, dass es so schwierig ist, einen Alkoholiker zu der Einsicht zu bringen, dass er kein Genießer ist, sondern dringender Hilfe bedarf.

    Ein Buch wie das hier vorgestellte, das diese Einsicht verdrängt und verhindert, kann ich nur als ausgesprochen schädlich bezeichnen.

    Dies alles hat nichts, aber auch gar nichts mit Genussfeindlichkeit zu tun. Es gibt doch so viele andere Genüsse auf der Welt, mit denen man weder sich selbst noch seine Mitmenschen schädigt. Diese seien auch den Rauchern aufs herzlichste gegönnt! Aus diesem Grund ist es auch ein tragischer Irrtum, Nichtraucher als Asketen, Moralapostel oder Gesundheitsfanatiker anzusehen. Es gibt (hoffentlich!) keinen einzigen Nichtraucher auf der Welt, der still vor sich hin jammert "ach, wie gern würde ich doch rauchen, wenn es nur nicht so ungesund wäre!" Im Gegenteil: es gibt unzählige Ex-Raucher, die noch jahrelang nach ihrer letzen Kippe sagen "Gott sei Dank, dass ich diese schreckliche Nikotinsklaverei losgeworden bin!"

    In diesem Sinne kann ich Imre von der Heydt nur wünschen, die letzte Kippe seines Lebens auszudrücken und ein echter Genussmensch zu werden.

    Paul Lenz