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"Anti-Raucher-Kampagne..."
"Doppelt hält besser" wird sich Imre von der Heydt gedacht haben, als er seine Hetzschrift gegen Rauchverbote gleich in zwei Zeitungen veröffentlichte: in der Morgenpost und in der Welt - befürchtete er etwa, dass so ein Artikel der neopuritanischen Zensur zum Opfer fallen könnte? Warum die Anti-Raucher-Kampagne Heuchelei istVon Imre von der HeydtDas Rauchverbot kommt - die Menschheit ist gerettet. Der gesundheitsbewusste Zeitgeist hat gewonnen. Hurra! Jetzt kann man vielleicht noch ein Mal zurückblicken, ein letztes Mal das Wort ergreifen und - ohne jegliche Nähe zur Tabaklobby - die ganze Kampagne als das bezeichnen, was sie in Wahrheit ist: Gesundheitshysterie, heuchlerisch, undemokratisch, hypochondrisch und paranoid.
Angesichts dieses Rundumschlages weiß man kaum, wo man mit den
Richtigstellungen anfangen soll. Am besten der Reihe nach:
Um Missverständnissen vorzubeugen: Niemand behauptet, dass Rauchen gesund sei. Gleichwohl gibt es eine ganze Reihe von Hinweisen, die nahe legen, dass die vermeintlichen Risiken abhängig sind von der täglichen Menge gerauchter Zigaretten, von der individuellen gesundheitlichen Verfassung sowie einer Vielzahl von Aspekten der persönlichen Lebensführung. Diese Risiken sind nicht vermeintlich, sondern höchst real. Niemand bestreitet, dass sie von der Anzahl der gerauchten Zigaretten abhängen, aber der 1-Schachtel-pro-Tag-Nikotiniker ist nun mal der traurige Regelfall und nicht der Genussraucher, der den ganzen Tag nicht raucht und sich abends vor dem Fernseher mal ein Pfeifchen ansteckt.
Ähnliches gilt für die angeblich akuten Gefahren des Passivrauchens, die zum Gegenstand einer systematischen Panikmache geworden sind. Jedermann, der sich nur für zwei Minuten mit den behaupteten 3300 jährlichen Toten durch Passivrauch beschäftigt, wird feststellen, dass diese Zahl jeder seriösen, auch wissenschaftlichen Grundlage entbehrt. Es gibt schlichtweg keinen Grund, bei mäßigem Kontakt mit Passivrauch in Zweifel zu verfallen. Andernfalls dürfte man in unseren Großstädten auch nicht mehr vor die Tür gehen.
Bei dieser Betrachtung sollte man streng unterscheiden, dass es zwei
Gruppen von Passivrauchern gibt, die unterschiedliche Motiv haben
sowie unterschiedliche Voraussetzungen:
Ein berechtigter Einwand gegen das öffentliche Rauchen ist die damit verbundene Belästigung. Deshalb auch sind die diversen Verbote und Einschränkungen in öffentlichen Gebäuden durchaus sinnvolle Maßnahmen. Das angestrebte Totalverbot in Kneipen, Bars und Restaurants hingegen trägt hysterische Züge und ist das Ergebnis systematischer gesundheitspolitischer Demagogie. Nein, das ist lediglich konsequent. Wie schon die berühmten Pubs in Irland (dieses Wort kommt von "public house" - öffentliches Haus), so haben die genannten Lokale ebenfalls als öffentlicher Raum zu gelten mit den gleichen Bedingungen wie öffentliche Gebäude. Die Aufgeregtheit, mit der hier zu Werke gegangen wird, legt den
Gedanken nahe, dass es gar nicht nur ums Rauchen geht. Ein möglicher
Erklärungsansatz mag im Dilemma des modernen Menschen zu suchen sein,
der in einer zunehmend unübersichtlichen und von ökologischen
Katastrophenmeldungen erfüllten Welt ausgerechnet die Gesundheit zu
seiner neuen Ersatzreligion erwählt hat. Schmelzende Pole, kippende
Meere, verseuchte Böden, Feinstaubbelastung, Lebensmittelskandale sowie
überall lauernde Mikrogifte nagen am Nervenkostüm der
Gesundheitswilligen und befördern ein Gefühl der Angst und
Hilflosigkeit - und wohl auch: des schlechten Gewissens.
Eine hübsche Theorie, die Herr von der Heydt sich da ausgedacht hat...
und das weiß er auch. Sonst hätte er nicht die vorsichtigen Worte
"legt den Gedanken nahe" und "so gesehen, kann man" verwendet.
Schieben wir also diese Gedankenluftblase nachsichtig schmunzelnd
beiseite und kommen zur Realität zurück.
Es ist an der Zeit, sich mit den Kehrseiten der modernen Gesundheitsbesessenheit auseinanderzusetzen. Denn wohl niemals zuvor hat die Gesundheit im Bewusstsein der Menschen eine so dominante Rolle gespielt, wurde soviel Aufwand betrieben, wurde soviel über Gesundheit nachgedacht, gejammert und geredet. Die Folge ist das Leben als ständiger Gefahrenherd für Erkrankungen, als ständige Vorbeugemaßnahme gegen mögliche Erkrankungen, und schließlich auch als ständige Angst vor möglichen Erkrankungen. Die Gefahrenpsychose wird zum Dauerbegleiter: Überall lauern Gefahren, überall werden Feinde vermutet, es entsteht ein paranoides Sicherheits- und Kontrollbedürfnis. Zuletzt wird das Leben an sich kontinuierlich seiner Fehlerhaftigkeit und Bösartigkeit überführt. Der Kampf gegen das Rauchen bietet sich an zum großen Stellvertreterkrieg. Mal abgesehen davon, dass - wie bereits erwähnt - der Gesundheitsaspekt für die meisten Nichtraucher gar nicht die Hauptmotivation für Rauchverbote ist, muss besondes dem letzen Satz widersprochen werden: Der Kampf gegen das Rauchen ist kein Stellvertreterkrieg, sondern der Kampf gegen die wichtigste Ursache von Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Aber darum geht es hier eigentlich gar nicht. Nichtraucherschutz ist kein Kampf gegen das Rauchen. Kein Raucher wird gezwungen, wegen des Nichtraucherschutzes weniger zu rauchen. Er hat die freie Wahl, ob er sich das Rauchen mal verkneift oder eben woanders raucht, wo er niemanden stört. Aber warum rauchen die Menschen überhaupt? Es gibt eine moderne Neigung, das Rauchen mit einem Mangel an Bildung und mit "asozialen" Verhältnissen in Verbindung zu bringen. Viele Beispiele aus der Geschichte bezeugen das Gegenteil: Überall, wo geistiger Aufbruch herrschte, wurde der Tabakkonsum geschätzt und gepflegt: in den Herrenclubs der europäischen Geistes-Eliten, in der Künstlerboheme der Jahrhundertwende; selbst die Emanzipation der Frau fand ihren symbolischen Ausdruck in einer drastisch ansteigenden Zahl von Raucherinnen.
Warum Menschen mit dem Rauchen beginnen? Aus Neugierde und weil mit
dem Rauchen alle möglichen Assoziationen verknüpft sind, die mit dem
Inhalieren von Verschwelungsabgasen eigentlich überhaupt keine direkte
Verbindungen haben: erwachsen sein, cool sein, dazugehören und dergleichen
mehr. Herr von der Heydt bemerkt ganz richtig: es sind nur Symbole. Billige
Klebeetiketten, die genau so schnell abgelöst sind wie draufgeklebt.
Was den Mangel an Bildung betrifft, so ist es einfach eine Tatsache, dass der Anteil von Rauchern in bildungsfernen Schichten viel höher ist als in Akademikerkreisen. Da braucht Herr von der Heydt auch nicht geistige Aufbrüche zu bemühen, denn diese hingen ganz bestimmt nicht vom Rauchen ab. Die wichtigsten geistigen Aufbrüche würde ich drei Nichtrauchern zuordnen: Buddha, Jesus und Mohammed. Auch der Erfinder des Rades war Nichtraucher ebenso wie die Erbauer der Sieben Weltwunder. Nichtraucher stellten zum ersten Mal Met, Wein und Bier her (um ein weiteres Mal das Bild des asketischen Nichtrauchers ad absurdum zu führen). Ja, selbst Christoph Columbus brach ERST auf und lernte DANN in dem neu entdeckten Kontinent das Rauchen kennen. In der Dichtung, in der Literatur, im Film und sogar in der Philosophie gibt es vielfache Hinweise auf eine kulturpolitische und kulturphilosophische Dimension des Rauchens, seine Würde, seine Lustbereitung, sogar seine erkenntnistheoretischen Aspekte (bei Sartre). Rauchen, gerade nicht als Zwang verstanden, sondern als Befreiung von Zwängen. Machen wir uns nichts vor: all dies spielte eine Rolle in längst vergangenen Zeiten, als die Zigarette noch nicht erfunden war, als das Rauchen noch einen Hauch von Kultur hatte und der Tabak noch nicht zu einer billigen Alltagsdroge verkommen war, die seine Konsumenten versklavt und es sogar schafft, sie bei Wind und Wetter auf den Balkon zu schicken - was soll das mit Würde zu tun haben? Die Würde, mit der Indianer die Friedenspfeife rauchten, ist längst spurlos in Qualm aufgegangen. Und schon Goethe fällte ein vernichtendes Urteil: "Das Rauchen macht dumm; es macht unfähig zum Denken und Dichten." Wahrscheinlich auch deshalb waren die Raucher schon immer massiven
Verboten und zum Teil hasserfüllten Diffamierungskampagnen ausgesetzt.
Seit dem Ende des 15. Jahrhunderts, als der Tabak von Amerika nach
Europa kam, wird das Rauchen bekämpft und verteufelt. Schon Rodrigo de
la Jerez, ein Begleiter Columbus' und wahrscheinlich der erste
offizielle europäische Raucher, wurde, als er aus Mund und Nase
qualmend aus Amerika heimkehrte, von der Inquisition umgehend in den
Kerker geworfen.
Irrtum, Herr von der Heydt. Gerade die modernen Erkenntnisse über die
Schädlichkeit des Rauchens machen den entscheidenden Unterschied aus,
sodass der Kampf gegen das Rauchen nichts mehr mit Jahrhunderte alten
Standpunkten zu tun hat. Das Rauchen ist keine Sünde, und Nichtraucher
erheben auch nicht den Anspruch, die besseren Menschen zu sein. Die
Frage "rauchen oder nicht rauchen" hat keinerlei ethische Komponente.
Von Nietzsche stammt der Schlüsselbegriff des "asketischen Priesters",
der als Archetypus eines zutiefst misanthropischen, lustfeindlichen,
paranoiden und missionarisch veranlagten Menschen den moralisch-
psychologischen Kern der Bewegung erklärt: "Dieser Hass gegen das
Menschliche, mehr noch gegen das Thierische, mehr noch gegen das
Stoffliche, dieser Abscheu vor den Sinnen, vor der Vernunft selbst,
diese Furcht vor dem Glück und der Schönheit, dieses Verlangen hinweg
aus allem Schein, Wechsel, Werden, Tod, Wunsch, Verlangen selbst - das
alles bedeutet einen Widerwillen gegen das Leben, eine Auflehnung
gegen die grundsätzlichsten Voraussetzungen des Lebens."
Nun ja... ein nicht uninteressanter Exkurs über Asketen und Puritaner -
hat aber mit unserem Thema nicht das geringste zu tun. Im Gegenteil:
Und was für die Durian recht ist, sollte für Tabakrauch sicherlich billig sein! Der fröhliche Autofahrer vor mir bläst mir auf dem Fahrrad seine Abgase
ins Gesicht. Für den Strom, der meine Wohnung erleuchtet, glüht im
Zweifel ein Atomkraftwerk. So bezahlen wir alle die Annehmlichkeiten
der modernen Zivilisation mit höchst riskanten Nebenwirkungen.
Da wird man ja wohl hin und wieder - und natürlich
rücksichtsvoll! - eine rauchen dürfen.
Jetzt wirft Herr von der Heydt ein paar Sachen durcheinandere: die
Annehmlichkeiten der modernen Zivilisation und Genüsse (worum es bei
Tabakrauch ja gehen soll). Es gibt jedoch eine unendliche Vielzahl von
Genüssen, die mit keinerlei Nebenwirkungen verbunden sind. Herr von der Heydt
braucht nur mal im Frühling unter einem blühenden Fliederbusch stehenzubleiben
und tief und genüsslich Luft zu holen - falls er noch dazu fähig ist und sich
nicht in der Idee festgebissen hat, dass nur ungesunde Dinge ein Genuss sein
können.
Paul Lenz |