Zigaretten aus der Apotheke
Der Streit um die Nikotinsucht
(Süddeutscher Rundfunk im Januar 1996)
Abgetippt von webmaster@raucherportal.de
(In eckigen Klammern: Erklärungen, Bildunterschriften
und Auslassungen)
Inhalt:
Die Diskussion um die Definition von Sucht
Eigenschaften des Nikotins
Suchtpotential von Nikotin und anderen Drogen
Tierversuche mit Nikotin und anderen Drogen
Tabakindustrie versteckt eigene
Versuchsergebnisse
Sammelklage gegen Tabakindustrie wegen
bewusster Herstellung von Drogen
Verarbeitung von Tabak, künstliche
Zusatzstoffe
Tatsächlicher Nikotingehalt von "normalen"
und Lightzigaretten
Rauchen und andere Arten der Nikotinzufuhr
Die Diskussion um die Definition von Sucht
Kein Land kennt so strenge Rauchverbote wie die USA, und nirgendwo
wird der Streit um die Nikotinsucht so heftig ausgetragen. Hier in
Amerika ist eine oft fast fanatische Anti-Rauch-Bewegung in Stellung
gegangen gegen millionenschwere Konzerne und deren nimmermüde
Rechtsabteilungen.
Die Schlacht, die auf beiden Seiten hinter Reklametafeln vorbereitet
wird, könnte darüber entscheiden, ob Amerikaner in Zukunft
ihre Zigaretten in der Apotheke kaufen müssen. Denn in dem Streit
geht es nicht nur darum, ob Rauchen schädlich ist - das steht
auch in den USA längst auf allen Zigarettenschachteln - Industrie
und Gesundheitsbehörden streiten um die Sucht.
"Nikotin macht so süchtig wie Heroin oder Kokain",
meint der Chef des staatlichen Instituts für
Drogenmissbrauch. Eine derart strenge Definition von Sucht aber
unterscheide nicht mehr zwischen Kaffeetrinken und Crackrauchen,
kritisieren die Wissenschaftler der Tabakindustrie. Tabakprodukte
sollten unter das Arzneimittelgesetz fallen, Nikotin sei eine Droge,
meint der Chef der mächtigen US-Gesundheitsbehörde FDA.
Bei uns in Deutschland ist das noch kein Thema. Die Frage ist: ist
Rauchen eine Sucht, lediglich eine Abhängigkeit oder sogar nur
ein Vergnügen, das man freiwillig und gerne wiederholt, wie die
Hersteller und viele Raucher behaupten?
Rauchen - eine Form des Drogenmissbrauchs? Sind Nikotin und
Heroin wirklich vergleichbar?
"Für die Tabakabhängigkeit gelten grundsätzlich
die gleichen Voraussetzungen wie für andere Abhängigkeiten
auch - Alkoholabhängigkeit, Heroinabhängigkeit,
Kokainabhängigkeit. Der entscheidende Unterschied zwischen der
Tabakabhängigkeit einerseits und den übrigen genannten
Abhängigkeiten andererseits ist das Fehlen der psychotoxischen
Wirkung des Nikotins. Das heißt: der abhängige Raucher
verliert nicht seine Persönlichkeit, im allgemeinen verliert er
auch nicht seinen Arbeitsplatz, z.B. im Gegensatz zum
Alkoholiker."
[Prof. Klaus Opitz, Pharmakologe, Münster]
Eigenschaften des Nikotins
Der Stoff, um den es geht, ist eine relativ einfache chemische
Verbindung. Entdeckt wurde er 1828 in Heidelberg. "De
Nicotiniana" - "Über die Tabakpflanze" nannten
zwei Studenten, der Chemiker Reimann und der Mediziner Posselt, ihre
preisgekrönte lateinisch geschriebene Studie über den
Wirkstoff in den Tabakblättern. Sie gaben ihm auch gleich seinen
Namen "Nikotin", unter Chemikern auch als
3-(1-Methyl-2-pyrrolidinyl)-pyridin bekannt.
Nicotiniana Tabacum, die Tabakpflanze ist ein
Nachtschattengewächs. Das Nikotin erzeugt sie in ihren Wurzeln.
Wenn die Pflanze reift, wandert der Stoff in die Blätter. Nikotin
ist eines der stärksten Pflanzengifte. Die tödliche Dosis
für den Menschen beträgt nur 50 mg. Beim Rauchen wird das
nicht erreicht, weil Nikotin im Körper sehr schnell abgebaut
wird. Die Giftproduktion liegt bei den Nachtschattengewächsen in
der Familie: Tollkirsche, Bittersüß, Bilsenkraut gehören dazu,
aber auch Nutzpflanzen wie Kartoffel, Tomate und Paprika.
[Tabakgebrauch der Indianer, Kolumbus etc.]
Wenn der Tabak glimmt, wird das Nikotin freigesetzt. Gebunden an die
winzigen Teerteilchen im Rauch gelangt es in die Lunge und von dort
ins Blut. Schon 7 Sekunden später erreichen die
Nikotinmoleküle das Gehirn, heften sich dort an die Nervenzellen
und beeinflussen deren Aktivität. Das lässt sich messen
mit einem modernen, bildgebenden Verfahren.
[Beschreibung des Verfahrens]
Im amerikanischen Institut für Drogenmissbrauch wird nach
den Wirkungsmechanismen von suchterregenden und abhängigmachenden
Drogen geforscht. Nikotin hat zunächst einen anregenden, in
höheren Dosen einen beruhigenden und muskelentspannenden
Einfluss. Es mildert Hunger- und Angstgefühle und auch Aggression.
[weiteres zu dem Verfahren]
"Trotz seiner erheblichen Giftigkeit ist Nikotin, das mit dem
Tabakrauch aufgenommen wird, selten die Ursache von Vergiftungen, wenn
man absieht von ersten Rauchversuchen oder vom Verzehr von Zigaretten
durch Kleinkinder. Der Raucher erlebt praktisch keine
Nikotinvergiftung, er scheidet das Nikotin ja auch schnell aus, und
sein Körper gewöhnt sich daran. Raucher genießen ja
Nikotindosen, die bei Nichtrauchern bereits leichte
Vergiftungserscheinungen auslösen würden. Nikotin wirkt
weder krebserzeugend noch teratogen [= Missbildungen erzeugend],
noch ist es verantwortlich für die chronischen
Gesundheitsschäden der Raucher. Die gehen zu Lasten von
Kohlenmonoxid, Cyanwasserstoff, Benzol, Cadmium, Nitrosaminen und
zahlreichen anderen gesundheitsschädlichen Bestandteilen des
Tabakrauchs." [Opitz]
Leider sind die harmlose Droge Nikotin und die bösartigen
Begleitstoffe im Zigarettenrauch ziemlich unzertrennlich. Nikotin
entfaltet die beruhigende Wirkung, die Teerpartikel sorgen für
den Geschmack und die Gesundheitsschäden.
In Amerika tragen Anti-Rauch-Organisationen wie die Krebs-Gesellschaft
und die Tabakindustrie ihre Gefechte mit harten Bandagen aus. Durch
Rauchen verursachte Todeszahlen an der Straßenecke und
Werbespots in Kino und Fernsehen, die bis an die Grenzen des guten
Geschmacks gehen - und oft auch ein bißchen weiter. Wegen ihrer
übertriebenen Machart allerdings werden die Spots von den
Rauchern nicht immer ernst genommen.
Suchtpotential von Nikotin und anderen Drogen
Die Gesundheitsschäden durch das Rauchen sind die Schlacht von
gestern. Die Zigarettenhersteller müssen nun einen neuen,
grundsätzlicheren Rechtsstreit fürchten: es geht um die
Sucht. Ist das Nikotin, dieser Extrakt aus den Tabakblättern,
allein für die Abhängigkeit verantwortlich, oder raucht man,
wie die Konzerne behaupten, aus anderen Gründen?
Die Tabakindustrie hält das Nikotin für zweitrangig. Dieser
wichtige, traditionsreiche Wirtschaftszweig ist stolz auf seine
Produkte und will nicht wahrhaben, dass in seinen modernen
Fabriken Suchtmittel hergestellt werden. Die Industrie glaubt nicht,
dass Nikotin süchtig macht, und setzt ihre geballte Werbe-
und Finanzkraft dafür ein, die Freiwilligkeit beim Griff zur
Zigarette zu beschwören: Raucher rauchen eben gern. Wenn
Zigaretten als süchtigmachende Drogen angesehen werden, wie es
das amerikanische Institut für Drogenmissbrauch fordert,
wäre dieses Image dahin.
Das Institut hat alle gängigen Suchtmittel untersucht, auch das
Nikotin. "Nikotin kann genau so abhängig machen wie Morphium
oder Kokain. Für alle drei Stoffe aber gilt: ob jemand
tatsächlich abhängig wird, hängt nicht nur von der
Dosis ab, sondern auch davon, wie schnell sie dem Körper
zugeführt werden. Beim Kauen von Koka-Blättern etwa kann der
Körper nur wenig mit dem Kokain anfangen. Darum gibt es bei
dieser Form der Verabreichung, wie sie in Südamerika üblich
ist, kaum Probleme. Ganz anders aber ist es, wenn Kokain inhaliert
wird und dadurch schnell ins Blut gelangt. Dann hat es eine geradezu
explosive Wirkung. Das gleiche gilt für Nikotin. Ein
Nikotinpflaster wird von Rauchern meist nicht als Ersatz für die
Zigarette akzeptiert, und sie haben in gewissem Sinne recht: es gibt
einfach nicht diesen explosiven, abhängig machenden Schub. Aber
immerhin - ein Pflaster mindert die Entzugserscheinungen."
[Dr. Jack E. Hennigfield, Institut für Drogenmissbrauch,
Baltimore]
Die Pharmakologen der Tabakindustrie sehen das natürlich ganz
anders. Sucht sei eine Frage der Definition. "Die Vertreter der
Nikotinsucht-These bezeichnen einen Menschen schon als süchtig,
wenn er etwas gerne tut oder zu sich nimmt und es immer wieder tut,
weil er es als angenehm empfindet. Als Wissenschaftler finde ich das
höchst unbefriedigend, denn ein solcher Suchtbegriff
unterscheidet nicht zwischen Crackrauchen und Kaffeetrinken. Ich
glaube, auch Nichtwissenschaftler sehen hier ja wohl einen
fundamentalen Unterschied."
[Dr. John H. Robinson, R.J. Reynolds Tobacco Company]
Was ist Sucht - was ist Abhängigkeit? Ist es allein die
Geselligkeit, die zum Rauchen verführt? Wohl kaum. Denn wer hier
raucht, raucht in aller Regel auch zu Hause oder anderswo, und wer
anderswo nicht raucht, greift auch beim gemütlichen Zusammensein
meist nicht zum Glimmstengel. Also ist Rauchen wohl kaum etwas, was
man immer wieder tut, allein, weil man es als angenehm empfindet, wie
die Forscher der Zigarettenindustrie behaupten. Welche Rolle das
Nikotin beim Griff zur Zigarette spielt, lässt sich nach den
strengen Regeln der Wissenschaft im Labor untersuchen. Nicht an
Menschen in fröhlicher Bierlaune, sondern an Ratten
Tierversuche mit Nikotin und anderen Drogen
Der Ratte wird ein sehr dünner Katheter in eine Ader gelegt. Aus
praktischen Gründen wählen die Forscher ein
Blutgefäß am Nacken. Durch diesen Schlauch wird Nikotin in
die Blutbahn gespritzt. Sobald die Ratte ihre Schnauze in das rechte
Loch [von zwei Löchern] steckt, bekommt sie eine Dosis Nikotin
eingespritzt. Wiederholt sie das freiwillig immer wieder, dann
bedeutet das, dass sie die Droge braucht, dass sie
abhängig ist. Auf Heroin und Kokain reagieren die Versuchstiere
mit starkem Suchtverhalten, auf Kaffee dagegen kaum. Der Effekt von
Nikotin liegt irgendwo dazwischen.
Der Punkt ist nun: die Tabakindustrie hat solche Rattenversuche
nachweislich schon 1980 durchgeführt, die Ergebnisse allerdings
verschwanden in der Schublade. Bei Philip Morris wurde das
entsprechende Labor 1983 sogar geschlossen, die Wissenschaftler wurden
entlassen. Der Leiter dieses Labors arbeitet inzwischen im
Staatsdienst als Psychologe. Jetzt hat er das Schweigen um die
damaligen Versuchsergebnisse gebrochen. Victor DeNoble hatte als
einer der ersten nachgewiesen, dass Nikotin tatsächlich
abhängig macht. Und das war nicht einfach.
"Erst haben wir wie bei Versuchen mit Heroin oder Morphium
große Mengen Nikotin in die Vene gespritzt. Mit Nikotin aber hat
das leider nicht funktioniert. In der Cafeteria von Philip Morris sah
ich dann, dass die Raucher sich durch wiederholtes Inhalieren
Nikotin in Schüben zuführen. Kam es vielleicht auf die Art
und Weise der Nikotingabe an? Wir legten unsere Nikotinspritzen
beiseite und versuchten es mit einer Pumpe, die den Ratten
regelmäßig kleine Nikotinmengen injizierte, und von da an
liefen die Versuche sehr erfolgreich."
[Dr. Victor DeNoble, Verhaltenspsychologe]
Tabakindustrie versteckt eigene Versuchsergebnisse
Aber warum erlaubten ihm seine Vorgesetzten nicht zu veröffentlichen?
"Anfangs durften wir veröffentlichen. Als unsere Firma aber
1983 darauf verklagt wurde, dass Zigarettenrauchen abhängig
macht, hatte man Sorge, unsere eigene Forschung könnte die These
der Kläger belegen. Man wollte das nicht unbedingt in der
wissenschaftlichen Literatur sehen."
Inzwischen stehen DeNoble's Ergebnisse in der Literatur und sind
jedermann frei zugänglich. Sie finden sich nämlich in den
offziellen Akten des akerikanischen Abgeordnetenhauses. Dort hatte
Victor DeNoble 1994 vor einem Kongressausschuss seine
Untersuchungen bezeugt. Danach tauchten eine ganze Reihe weiterer
bisher geheim gehaltener Forschungsberichte aus anderen Labors der
Tabakindustrie auf. Die Zigarettenhersteller hatten also
gewusst, dass Nikotin abhängig macht. Der
Untersuchungsbericht aus dem Kapitol sollte die Industrie aus ihrer
Selbstsicherheit aufschrecken.
Sammelklage gegen Tabakindustrie wegen
bewusster Herstellung von Drogen
In New Orleans wurde eine neue Runde im Streit um die Nikotinsucht
eingeläutet. Eine ganze Gruppe von Rechtsanwälten hat sich
zusammengetan, um die größte Sammelklage der amerikanischen
Rechtsgeschichte vorzubringen. Sie haben sich in einem teuren
Bürohaus eingemietet, vertreten Klienten aus ganz Amerika und
wollen die Tabakindustrie in die Kniee zwingen. Alle 45 Millionen
Raucher der USA könnten sich der Klage anschließen, hofft
der Leiter der Gruppe.
"Es geht uns um die Sucht. In den bisherigen Prozessen wurde die
Zigarettenindustrie verklagt, weil Zigaretten Krebs, Emphyseme oder
Herz-Kreislauf-Erkrankungen verursachen. Dass Zigaretten das
tatsächlich tun, wissen die Hersteller aufgrund ihrer eigenen
Versuche am besten, schon seit den 40er Jahren. Aber obwohl sie dies
wussten, haben sie ein Produkt auf den Markt gebracht, das
süchtig macht. Anders gesagt: sie wussten, dass ihr
Produkt süchtig macht, dass ein normaler Gebrauch zum
Missbrauch führt und dass es all diese Krankheiten
verursacht. Die Industrie leugnet aber bis auf den heutigen Tag,
dass Rauchen süchtig macht.
Jetzt bekommt sie es zum ersten Mal mit einer geschlossenen Front zu
tun. Bisher hat es die Industrie immer geschafft, die Kläger zu
isolieren und durch systematische Verzögerung jeden einzelnen in
den Ruin zu treiben, bis er aufgab. Mit uns können sie das nicht
tun, wir haben einen langen Atem. Wir sind 62 Anwälte und solide
finanziert." [Wendell H. Gautier, Rechtsanwalt]
Muss sich die Zigarettenindustrie nun also warm anziehen? Wenn
die Gruppe um Gautier gewinnt, könnte das die mächtigen
Tabakkonzerne dort treffen, wo sie am empfindlichsten sind: am Umsatz.
Ihre Justitiare sind daher bereits zum Gegenangriff übergegangen:
"Wir akzeptieren schon die Prämisse nicht, dass
Zigarettenrauchen eine Sucht sei. Aber der Richter hat entschieden,
dass eine solche Klage zulässig ist, auch als Sammelklage.
Wir haben dagegen Einspruch eingelegt und erwarten, dass die
nächste Instanz die Sammelklage verhindern wird. Wenn jemand uns
in dieser Sache verklagen will, muss er dies als Individuum tun,
jeder der 40 bis 50 Millionen Raucher für sich allein."
[Charles A. Blixt, Chefjustitiar, R.J. Reynolds Tobacco Company]
Verarbeitung von Tabak, künstliche Zusatzstoffe
Was ist nun dran an der Nikotinsucht? Der Fernsehsender ABC hatte die
Industrie sogar beschuldigt, den Tabak künstlich mit Nikotin
anzureichern, um die Raucher süchtig zu halten. Kann das stimmen?
Wir wollten filmen, wie der Tabak verarbeitet wird. Leider aber sahen
wir die Tabakblätter bei der Versteigerung zum letzten Mal. Was
drinnen in den Fabriken geschieht, ist wohlgehütetes
Betriebsgeheimnis. Ausgesuchte Bilder stellten uns die Hersteller zur
Verfügung. Sicher ist, dass dem Tabak eine ganze Reihe von
Geschmacks- und Konservierungsstoffen hinzugefügt werden, bevor
Zigaretten daraus entstehen. Filmen durften wir das nicht, uns blieb
nur das Endprodukt, und das haben wir unters Mikroskop gelegt.
Die Vergrößerung lässt ahnen, wie aufwendig
die Tabakblätter verarbeitet werden. Das erste, was auffällt,
ist eine glitzernde Schicht Chemie um jede Tabakfaser. In den
Handbüchern über Tabakherstellung kann man lesen, dass
Zucker und Geschmacksstoffe die Fasern umgeben. Menge und Art sind
Geheimrezept des jeweiligen Herstellers. So sorgen etwa spezielle
Salze dafür, dass die Zigarette durchgehend glimmt. Ammoniak
verbessert die Freisetzung von Nikotin, Zucker und Lakritz regulieren
den Geschmack, und Glyzerin hält den Tabak länger frisch.
Wenn man sich nun die einzelnen Tabakfasern einer Zigarette genauer
anschaut, ist von den ursprünglichen Tabakblättern nur noch
wenig zu erkennen. Unter stärkerer Vergrößerung sehen
manche Fasern aus wie zusammengepresste Reste und sind es wohl
auch. Wer diese Bilder sieht, kann vielleicht verstehen, warum die
amerikanischen Kollegen von ABC auf den Gedanken gekommen sind,
dass dem Zigarettentabak auch zusätzliches Nikotin
beigefügt wird. Im Vergleich mit diesem Industrieprodukt sieht
wenig behandelter Zigarrentabak jedenfalls ganz anders aus. Dass
aber Zigarettentabak von der Industrie künstlich mit Nikotin
gespickt wird, leugnen die Anwälte der Tabakkonzerne. ABC hatte
keine Beweise und musste viele Millionen Dollar zahlen.
"Manipulation und Spicken - die Wörter, die ABC gebraucht
hat, haben so einen negativen Beigeschmack, als ob wir etwas
Verbotenes täten. Wir stellen ein Produkt her aus einem
agrarischen Grundstoff, etwa so, wie es Nahrungsmittelproduzenten
tun. Wir müssen natürlich sicherstellen, dass jede
Zigarette und jedes Päckchen einen konstanten Geschmack haben,
wie die Nahrungsmittelhersteller, die Dosengemüse abfüllen.
Wir mischen verschiedene Tabaksorten so, dass die Winston, die
man in einem Teil der USA kauft, den selben Geschmack hat, die selbe
Qualität und die selben Teer- und Nikotinwerte wie die Winston,
die man in einem anderen Teil des Landes kauft." [Blixt]
"Also gut - die Tabakindustrie entzieht Nikotin und fügt es
später wieder hinzu. Aber das geschieht aus
Qualitätsgründen und ist hier nicht das Wesentliche. Das
Entscheidende ist, dass es sich bei der Zigarette um ein
Drogenverabreichungsgerät handelt, mit dem neben Nikotin noch
4000 andere Chemikalien zugeführt werden. Viele davon sind
giftig. Wenn die Zigarette eine Spritze wäre, dürfte man sie
nie verkaufen." [DeNoble]
[Über Nikotin und Arzneimittelgesetze]
Tatsächlicher Nikotingehalt von "normalen" und Lightzigaretten
Wieviel Nikotin kann sich ein Raucher aus einer Zigarette holen? Die
Werte, die auf den Packungen stehen, beantworten die Frage keineswegs.
Ermittelt werden diese Werte in einer amtlich anerkannten
Rauchmaschine. Diese raucht aber nicht wie ein Raucher. Sie nimmt nur
einmal in einer Minute einen Zug von zwei Sekunden Länge, nur
acht bis neun Züge pro Zigarette. Der Rauch durchströmt
einen feuchten Papierfilter, der die nikotinbeladenen Teerteilchen
festhält. Das Nikotin gelangt hauptsächlich gebunden an
Teerpartikel in die Lunge. Teer und Nikotin stehen dadurch immer in
einem festen Verhältnis. Freies Nikotin spielt im Rauch eine
gringe Rolle, und auch die Geschmacksstoffe brauchen die Teerpartikel
als Fähre. Ohne Teer würde die Zigarette nach nichts
schmecken.
Das Nikotin wird aus dem Filter gelöst und kann dann in einem
Gaschromatographen gemessen werden. In unserem Fall hat die
Rauchmaschine mit ihren sehr zurückhaltenden Rauchverhalten 0,29
mg Nikotin pro Zigarette aufgenommen. Damit eine Zigarette als
"leicht" eingestuft wird, versehen die Hersteller den Filter
mit winzigen Löchern. Dadurch wird der Rauch bei jedem Zug mit
Luft verdünnt, er enthält weniger Teer und Nikotin. Wenn der
Raucher aber einen Teil der Löcher mit den Fingern verdeckt,
müssten wieder mehr Teer und Nikotin in den Rauch gelangen,
die Maschine müsste deutlich höhere Werte ermitteln.
Wir haben versucht, diesen Effekt nachzustellen, indem wir etwa die
Hälfte der Löcher zugeklebt haben. Im Landesuntersuchungsamt
in Sigmaringen ließen wir die so bearbeiteten Zigaretten in der
Maschine abrauchen. Das Ergebnis bestätigt die Erwartung: der
Nikotinwert ist mit 0,47 mg fast doppelt so hoch wie bei nicht
zugeklebten Löchern.
Wissen die Hersteller, dass ein Raucher mehr Nikotin aus einer
Zigarette holen kann, als auf dem Päckchen steht?
"Selbstverständlich. Sie wissen das spätestens
seit 1969, als Forscher von Philip Morris in der sogenannten
"Lippenstudie" zeigten, wie die Raucher mit ihren Fingern
oder Lippen die Löcher verdeckten und wie die Rauchmaschine sehr
niedrige Werte anzeigte. Inzwischen haben Leute wie Bellowitz oder
Henningfield längst nachgewiesen, dass Raucher durch
Verdecken der Löcher 5 bis 20 mal mehr Nikotin aufnehmen
können, als auf der Packung steht." [DeNoble]
Trotz niedriger Werte auf den Päckchen kann der Raucher also viel
mehr Nikotin aus einer Zigarette holen. Wie viel mehr - das hängt
davon ab, wie viel Nikotin dem Raucher im Tabak der Zigarette
überhaupt zur Verfügung steht. Ein Beispiel: die von uns
getestete "leichte" Zigarette hatte nach der offizillen
Messung 0,29 und mit teilweise verklebten Löchern 0,47 mg Nikotin
im Rauch. In ihrem Tabak fanden sich insgesamt 14,9 mg, sehr viel mehr
als bei den Messungen im Rauch. Wir wollten jetzt wissen, ob
"leichtere" Zigaretten auch "leichteren" Tabak
enthalten. Im Sigmaringer Landesuntersuchungsamt haben wir das
systematisch bei 24 Marken vergleichen lassen. Das staatliche Amt
durfte uns nur anonymisierte Werte übermitteln, der Trend war
aber überraschend eindeutig: fast alle "leichten"
Zigaretten enthalten deutlich stärkeren Tabak als ihre
"normalen" Pendants. Um ganz sicher zu gehen und um
Ross und Reiter kennenzulernen, ließen wir in Bremen in
einem Schiedslabor der Tabakindustrie bei allen bundesweit als
"leicht" und "normal" erhältlichen Zigaretten
mit mehr als 2% Marktaneil nachmessen. Erstes deutliches Ergebnis:
alle Light-Zigaretten sind tatsächlich leichter als ihre normalen
Geschwister - vom Gewicht her. Sie enthalten weniger Tabak. Die Bremer
Nikotinmessungen im Tabak bestätigen die Ergebnisse der
Sigmaringer Untersuchungen: Die "leichten" Zigaretten
enthalten in etwa genau so viel Nikotin wie "normale", mal
etwas weniger, mal etwas mehr. Weil "leichte" Zigaretten
aber ja weniger Tabak enthalten, muss dieser Tabak sehr viel
stärker sein:
Milligramm Nikotin pro Zigarette
Marke: | "normal" | "light" |
Marlboro | 12,0 | 11,8 |
HB | 12,3 | 11,9 |
West | 11,8 | 10,9 |
Camel | 12,7 | 11,5 |
Stuyvesant | 11,0 | 9,8 |
Lord | 12,1 | 14,0 |
Die Messung des Nikotinanteils im Tabak ausgedrückt in Prozent
bestätigt es: bei allen Light-Zigaretten liegt er deutlich
höher als bei den "normalen":
Nikotin im Tabak in Prozent
Marke: | "normal" | "light" |
Marlboro | 1,77 | 2,15 |
HB | 1,83 | 2,06 |
West | 1,85 | 1,98 |
Camel | 1,84 | 1,88 |
Stuyvesant | 1,74 | 1,84 |
Lord | 1,75 | 2,37 |
Warum verwenden die Hersteller gerade für die "leichtesten" Zigaretten den "stärksten
Tobak"?
"Um das Rauchen von Leichtzigaretten attraktiv zu machen, setzen
wir ganz bewusst hochwertige und vollaromatische Tabake ein, die
naturgegeben einen etwas höheren Nikotingehalt haben. Sie
können sich vorstellen: bei einem niedrigen Rauchangebot von
Kondensat und Nikotin muss die Qualität des Tabaks, den wir
vorne einsetzen, optimal sein und optimale Geschmacksleistung
entfalten. Mit dem intelligenten Filtersystem der R1 gelingt es uns,
diese Nikotin- und Kondensatwerte für den Raucher auf ein extrem
niedriges Niveau zu reduzieren." [Dr. Werner Rahn,
Forschungschef Reemtsma, Hamburg]
Optimaler Geschmack bedeutet aber auch stets Teer und Nikotin.
Lightrauchen ist keineswegs gesünder als das Rauchen normaler
Zigaretten. Manche Forscher sind sogar vom Gegenteil überzeugt.
"Jeder Raucher benötigt täglich eine bestimmte Menge
Nikotin, die er sich unabhängig von der Nikotinmenge im Rauch der
gerauchten Zigarettensorte beschafft. Dazu müssen
"leichte" Zigaretten sehr viel intensiver geraucht werden
als "normale", und das bedeutet, dass auch sehr viel
größere Mengen Kohlenmonoxid und andere Schadstoffe
aufgenommen werden. So gesehen sind "leichte" Zigaretten
gesundheitsschädlicher als "schwere".
"Ultraleichte" Zigaretten mit sehr geringem Nikotingehalt
ermöglichen es Kindern, ohne Vergiftungserscheinungen Raucher zu
werden. Man kann sie als Starterprodukte bezeichnen."
[Opitz]
[...Berichte über die Entwicklung rauchloser Zigaretten...]
Rauchen und andere Arten der Nikotinzufuhr
Gerade für Raucher scheint es schwer verständlich, dass
immer noch über die Nikotinsucht gestritten wird. Was ist es nun,
das abhängig macht? Ist es das Nikotin, oder ist es etwas anderes?
"Es ist in erster Linie das Nikotin. Das kann man schon daran
erkennen, dass nikotinfreie Zigaretten praktisch
unverkäuflich sind. Wie stark nun das Nikotin abhängig
macht, hängt nicht nur von der Substanz ab, sondern es hängt
von der Kinetik ab, das heißt von der Geschwindigkeit, mit der
das Nikotin am Gehirn, an den Rezeptoren anflutet. Diese
Geschwindigkeit ist extrem hoch beim Inhalieren, beim inhalierenden
Rauchen. Sie ist nicht ganz so hoch bei der Injektion von Nikotin, die
nur im Laboratorium stattfindet, und sie ist extrem niedrig bei der
transzermalen Zufuhr, das heißt bei der Anwendung von
Nikotinpflastern." [Opitz]
Nikotinpflaster und Nikotinkaugummi machen nicht süchtig.
Sie dürfen in Deutschland nur in der Apotheke verkauft werden und
unterliegen auch in Amerika dem Arzneimittelgesetz. Eine
widersprüchliche Situation, finden die amerikanischen
Gesundheitsbehörden. Zigaretten, die krank und abhängig
machen, wie selbst die Versuche der Tabakkonzerne nahelegen, sind -
anders als Pflaster und Kaugummi - überall erhältlich.
Gehören sie nicht auch in die Apotheke?
"Unsere Absicht ist, Kindern unter 18 den Zugang zu Zigaretten zu
erschweren und die aggressive Werbung einzuschränken. Wenn wir
verhindern können, dass die nächste Generation
süchtig wird, dann werden Tod und Leid, die das Rauchen
verursacht, genau so verschwinden wir Pocken oder Kinderlähmung."
[Dr. David Kessler, Food And Drug Administration (FDA), Washington]
Zigaretten nur aus der Apotheke also? Vielleicht sogar auf Rezept? Die
Pläne der FDA, der mächtigen Behörde zur Kontrolle von
Nahrungs- und Arzneimitteln, könnten schwerwiegende Auswirkungen
auf den Zigarettenverkauf haben. Die Rechtsabteilungen der Konzerne
suchen fantasievoll nach juristischen Auswegen. "Die Position der
FDA und die von Kessler war immer, dass sie Tabak niemals als
sicheres Produkt ansehen würden. Die FDA kann aber nach ihren
Statuten nur Produkte regulieren, die sicher sind und deren
bestimmungsgemäßer Gebrauch zu der beabsichtigten Wirkung
führt. Mittel, die nicht sicher und effektiv sind, müssen
verboten werden als ungenehmigte Arzneimittel. Die FDA hätte nach
ihren eigenen Statuten dann nur die Möglichkeit, den Verkauf von
Zigaretten völlig zu verbieten." [Blixt]
Den Verkauf von Zigaretten total zu verbieten - das scheint nicht
realistisch zu sein. Bei Alkohol hat das auch nicht funktioniert.
Welche Maßnahmen stellt sich der FDA-Chef vor?
"Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass Nikotin sehr wohl
als Arzneimittel unter unsere Gesetze fällt und dass
Zigaretten Nikotin-Verabreichungsgeräte sind. Allerdings wollen
wir ihren Verkauf nicht auf Apotheken beschränken. Wir wollen den
Verkauf an Kinder und Jugendliche unter 18 verhindern und Automaten
verbieten. Der Verkauf soll immer von Angesicht zu Angesicht
stattfinden, beim Zweifel am Alter nur gegen Vorlage eines
Lichtbildausweises. Den Verkauf an Erwachsene wollen wir nicht
einschränken." [Kessler]
[Bericht über Zigaretten-Fotomodell mit Kehlkopfkrebs,
abschließende Zusammenfassung]
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